Hinter den Kulissen

Hintergrundfakten zu seltenen Erkrankungen

Was sind seltene Erkrankungen? 

Die Definition einer seltenen Erkrankung unterscheidet sich von Region zu Region. In der Europäischen Union gilt seit dem Jahr 2000 eine Erkrankung als selten, sobald weniger als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.1 In den USA werden seltene Erkrankungen als solche angesehen, wenn weniger als 200.000 Bewohner im Land erkrankt sind. Dieser Wert wurde im Rahmen des Orphan Drug Acts 1983 festgelegt.2 

Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen und der variablen Verbreitung von Erkrankungen in verschiedenen Ländern, kann es passieren, dass in manchen Regionen eine Erkrankung als selten gilt, während sie in anderen Orten nicht unter diese Kategorie fällt. Ein typisches Beispiel für einen solchen Fall ist die Tuberkulose. In den USA zählt diese Infektionskrankheit zu den seltenen Erkrankungen, obwohl sie laut der WHO weltweit eine der 10 häufigsten Todesursachen darstellt.2 Manchmal ändert sich auch der Status von einstmalst als selten erklärten Erkrankungen: AIDS galt beispielsweise in den USA zu Beginn des Krankheitsausbruchs als selten. Nachdem die Zahl der Betroffenen im Jahr 2007 auf 470.000 anstieg, fiel AIDS allerdings nicht mehr unter diese Kategorie.3 

 

Wie viele seltene Erkrankungen gibt es? 

Bis heute wurden über 7.000 verschiedene seltene Erkrankungen identifiziert, wobei je nach Quelle auch von Zahlen zwischen 5.000 und 8.000 gesprochen wird. Dieser Unterschied hängt u. a. damit zusammen, dass wie oben beschrieben von Region zu Region verschiedene Definitionen einer seltenen Erkrankung verwendet werden.2 Da sich seltene Erkrankungen bei Betroffenen meist durch eine sehr variable Symptomatik äußern und sich die Symptome zusätzlich mit denen anderer Erkrankungen überschneiden können, erfolgt die Diagnose häufig erst sehr spät. Dabei ist eine frühe Diagnosestellung besonders essentiell, um einen frühen Therapiestart zu ermöglichen.2 Allerdings steht momentan nur für einen kleinen Anteil der seltenen Erkrankungen eine Behandlung zur Verfügung: In der EU gibt es für nur etwa 2 % der seltenen Erkrankungen zugelassene spezifische Medikamente.4 Dabei ist es essentiell, seltene Erkrankung frühzeitig zu behandeln. Dies wird u. a. dadurch deutlich, dass ca. 50 % der Betroffenen Kinder sind und etwa 30 % ihren 5. Geburtstag nicht erleben können. Seltene Erkrankungen sind insgesamt für etwa 35 % der Tode von Säuglingen im ersten Lebensjahr verantwortlich.5 

 

Was sind die Ursachen seltener Erkrankungen? 

Seltene Erkrankungen können aufgrund verschiedenster Pathomechanismen entstehen. In den meisten Fällen liegt ein genetischer Defekt vor: ca. 80 % der seltenen Erkrankungen werden durch genetische Faktoren verursacht, wobei häufig nur ein einzelnes Gen betroffen ist.3 Bei der Alpha-Mannosidose handelt es sich beispielsweise dabei um das Gen MAN2B1, das im Normalfall für die Produktion des Enzyms Alpha-Mannosidase zuständig ist.6 Es gibt aber auch einige seltene Erkrankungen, bei denen mehrere genetische Fehler zum Krankheitsbild führen können. Bei LHON (Lebersche Hereditäre Optikus-Neuropathie) kann der zugrunde liegende Gendefekt entweder in der mitochondrialen oder in der nukleären DNA vorliegen. In beiden Fällen schränkt dies die Aktivität verschiedener membranständiger Proteine ein.7,8 Die genetischen Defekte seltener Erkrankungen können entweder von den Eltern vererbt werden oder durch spontane Mutationen auftreten.3 

Neben den genetischen Ursachen können seltene Erkrankungen auch durch Infektionen entstehen. Ein Beispiel ist das Lemierre-Syndrom, das als Spätfolge einer bakteriellen Infektion auftreten kann und dank des Antibiotika-Einsatzes sehr selten geworden ist. Außerdem können auch toxische Auslöser wie beispielsweise Quecksilber-Vergiftungen oder Nährstoffmängel zu einem seltenen Krankheitsbild führen.3 

 

Wie viele Menschen sind betroffen? 

In Deutschland sind ca. 4 Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen. In der gesamten Europäischen Union gibt es etwa 30 Millionen1 und weltweit ca. 300–400 Millionen Betroffene, das entspricht ungefähr der gesamten Bevölkerung der USA.9 Somit sind insgesamt mehr Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen als von Krebserkrankungen und AIDS zusammen. Dies zeigt die hohe Relevanz, die sowohl mit der Erforschung der seltenen Erkrankung als auch der Unterstützung betroffener Patient*innen verbunden ist. Allerdings gibt es bislang bei etwa 50 % der seltenen Erkrankungen keine krankheitsspezifischen unterstützenden Einrichtungen.5 

Im Rahmen der #wiedu-Kampagne haben es sich sechs Betroffene zur Aufgabe gemacht, seltenen Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ziel ist es, Wissen rund um die Existenz seltener Erkrankungen zu verbreiten, den Zugang zu Informationen und schnellere Diagnosen zu erleichtern und größere gesellschaftliche Akzeptanz zu generieren.10 Betroffene können bei verschiedenen Einrichtungen wie der ACHSE e.V. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) Hilfe erhalten. Dabei handelt es sich um eine Organisation, die ein Netzwerk für Patient*innen mit seltenen Erkrankungen und deren Angehörigen bietet und sich engagiert, die politischen Interessen Betroffener zu vertreten. Dabei fokussiert sich die ACHSE e.V. auch darauf, die Unterrichtung von Ärztinnen und Ärzten zu fördern und die Erforschung seltener Erkrankungen voranzutreiben. 11 

 

 

Übersicht Vererbungsmuster
 Referenzen 
Referenzen:
  1. Bundesministerium für Gesundheit. Seltene Erkrankungen. Online unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
  2. Haendel M et al. Nat Rev Drug Dicov. 2020;19(2):77–78.
  3. Field MJ and Boat TF. Institute of Medicine (US) Committee on Accelerating Rare Diseases Research and Orphan Product Development. 2010.
  4. Eva Luise und Horst Köhler Stiftung. Orphan Drugs – Medikamente sind Mangelware. Online unter: https://www.elhks.de/seltene-erkrankungen/therapieentwicklung/, zuletzt aufgerufen: Dezember 2023.
  5. Informaconnect. World Rare Disease Day shines a light on rare disease community. Online unter: https://informaconnect.com/world-rare-disease-day-shines-a-light-on-rare-disease-community/, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
  6. Malm D, Nilssen Ø. Orphanet J Rare Dis. 2008;3:21.
  7. Yu-Wai-Man P et al. Prog Retin Eye Res 2011; 30:81–114.
  8. Stenton SL et al. J Clin Invest. 2021; 131(6):e138267.
  9. Marwaha S et al. Genome Medicine. 2022;14(23).
  10. #wiedu. Ich hab eine seltene Erkrankung. Online unter: https://www.rare-wiedu.de/, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
  11. ACHSE e.V. Ziele und Aufgaben der ACHSE. Online unter: https://www.achse-online.de/de/die_achse/den_seltenen_stimme_geben.php, zuletzt aufgerufen: Oktober 2023.
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